Richtlinien für die Organvermittlung thorakaler Spenderorgane
(Herz-Lungen und Lungen)

Erste Fortschreibung 2001.
Bundesärztekammer
Stand: 10.09.2001

Vorbemerkungen

Grundlage dieser Richtlinien ist das Transplantationsgesetz (TPG).

Die Transplantation von vermittlungspflichtigen Organen darf gemäß § 9 TPG nur in dafür zugelassenen Transplantationszentren (§ 10 TPG) vorgenommen werden. Alle vermittlungspflichtigen Organe dürfen nur nach §§ 3, 4 TPG entnommen werden. Ihre Übertragung ist nur zulässig, wenn sie durch die Vermittlungsstelle unter Beachtung der Regelungen nach § 12 TPG vermittelt worden sind. Die Organ-Allokation erfolgt durch die Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten. Dabei sind die Wartelisten der Transplantationszentren als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. Die Vermittlungsentscheidung ist für jedes Organ unter Angabe der Gründe zu dokumentieren (§ 12 Abs. 3 TPG).

Die Richtlinien für die Organvermittlung werden von der Bundesärztekammer gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 TPG erarbeitet und dem jeweiligen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft angepasst. Sie sind für die Vermittlungsstelle verbindlich.

Voraussetzung für die Organvermittlung ist, dass der in die Warteliste eines Transplantationszentrums aufgenommene Patient mit den für die Vermittlung notwendigen aktuellen medizinischen Daten bei der Vermittlungsstelle registriert ist.

Bestehen bei einem registrierten Patienten vorübergehend Kontraindikationen gegen eine Transplantation, wird der Patient als "NT", vorübergehend "nicht transplantabel", klassifiziert und bei der Empfängerauswahl nicht berücksichtigt. Überschreiten die NT-Zeiten insgesamt 30 Tage, so ruht die Wartezeit für diesen Zeitraum; darüber ist der Patient vom Arzt des Transplantationszentrums zu informieren.

Die folgenden Richtlinien für die Organ-Allokation beruhen auf den Grundsätzen der Erfolgsaussicht, der Dringlichkeit und der Chancengleichheit. Das Prinzip der freien Arztwahl bleibt unberührt.

Der Erfolg einer Transplantation wird als Überleben des Empfängers, die längerfristig gesicherte Transplantatfunktion sowie die verbesserte Lebensqualität definiert.

Die Erfolgsaussichten sind für die Organe, aber auch innerhalb definierter Patientengruppen grundsätzlich verschieden. Neben diesen empfängerbezogenen Kriterien hängt der Erfolg der Transplantation auch von der Qualität des jeweiligen Spenderorgans und der Qualität der medizinischen Betreuung ab.

1. Kriterien für die Allokation von Herz-Lungen und Lungen

1.1 Blutgruppenkompatibilität (A-B-0-System)

Voraussetzung für die Organtransplantation ist die Blutgruppenkompatibilität zwischen Spender und Empfänger. Um aber eine gleichmäßige Verteilung zu gewährleisten, erfolgt die Auswahl zu transplantierender Empfänger nach den folgenden Regeln:

Spender
Blutgruppe
Empfänger
Blutgruppe
0 0
A A, AB
B B, AB
AB AB

 

 

 

 

 

Falls ein Organ nach diesen Regeln nicht vermittelbar ist, gilt allein das Prinzip der Blutgruppenkompatibilität

1.2 Hohe Dringlichkeit (high urgency - HU)

Bei Patienten auf der Warteliste in akut lebensbedrohlicher Situation besteht eine besondere Dringlichkeit zur Transplantation. Sie werden daher vorrangig vor allen anderen Patienten transplantiert. Die Zuordnung eines Patienten in diese Dringlichkeitsstufe muss besonders begründet werden. Empfänger, die diese Kriterien erfüllen, sind in der Regel bereits auf der Warteliste geführt, und ihr Zustand verschlechtert sich. Sie werden unter intensivmedizinischen Bedingungen behandelt, die Atmung maschinell unterstützt oder ersetzt. Falls eine Aufnahme in die Warteliste noch nicht erfolgte, muss vor HU-Anmeldung eine detaillierte Evaluation erfolgen.

Die Allokation von Organen erfolgt auch für HU-Patienten nach den in der Tabelle (s. 1.1) dargestellten Regeln.

Innerhalb der HU-Patienten wird bei der Allokation zunächst die Ischämiezeit und danach die Wartezeit berücksichtigt. Der HU-Status gilt für die Dauer von sieben Tagen, er muss nach Ablauf dieser Frist erneut begründet werden.

1.3 Wartezeit (80 % Gewichtung)

Die Wartezeit ist ein bedeutsamer Faktor für die Prognose nach Aufnahme in die Warteliste zur thorakalen Organtransplantation. Aufgrund der Sterblichkeit, insbesondere während des ersten Jahres der Wartezeit, stellt sie somit einen Dringlichkeitsfaktor dar. Wird der Patient nach einer NT-Klassifikation wieder transplantabel, ist die vor der NT-Listung bereits registrierte Wartezeit anzurechnen. Die insgesamt zu berücksichtigende Wartezeit ist derzeit auf zwei Jahre zu begrenzen. Die Wartezeit wird in Tagen berechnet.

1.4 Konservierungszeit (20 % Gewichtung)

Eine sofortige und adäquate Funktionsaufnahme der Transplantate ist bei Herz-Lungen- und Lungenübertragungen entscheidend für den kurz- und langfristigen Transplantationserfolg. Neben spenderseitigen Faktoren (z.B. Alter des Spenders, Funktionszustand der Spenderorgane zum Zeitpunkt der Organentnahme) und der warmen Ischämiezeit (Implantationszeit) ist die Funktionsaufnahme insbesondere von der Dauer der Konservierungszeit ("kalte Ischämiezeit") abhängig. Eine möglichst kurze Konservierungs- und Transportzeit ist daher anzustreben und bei der Organallokation zu berücksichtigen. Dies bedeutet für die kombinierte Herz-Lungen-Transplantation eine prospektive Gesamtischämiezeit (kalt und warm) von unter 3 Stunden, für die alleinige Lungentransplantation von unter 4 Stunden.
Die Konservierungsdauer ist abhängig von organisatorischen Faktoren und der Transportzeit zwischen Spenderkrankenhaus und Transplantationszentrum. Neben Dringlichkeit und Wartezeit ist daher die Ischämiezeit als dritter wichtiger Faktor für die Allokation zu berücksichtigen. Es ist anzunehmen, dass durch die Nutzung der Informations- und Organisationsstrukturen in den gebildeten Organentnahmeregionen die Ischämiezeiten verkürzt werden können. Die Transplantationszentren sollen verpflichtet sein, nach Erhalt der Organe die Transplantation unverzüglich durchzuführen. Es besteht die Erwartung, dass durch die Berücksichtigung der Ischämiezeit die Erfolgsaussichten für die Patienten verbessert werden. Das Ergebnis ist zu dokumentieren und innerhalb von 2 Jahren im Rahmen der Qualitätssicherung zu überprüfen.

1.5 Übereinstimmung der HLA-Merkmale

Im Hinblick auf den langfristigen Transplantationserfolg ist auch für thorakale Organe eine möglichst weitgehende Übereinstimmung der HLA-Merkmale zwischen Organspender und -empfänger anzustreben. Aufgrund der Logistik von Organentnahme und -transplantation mit obligat kurzen Ischämiezeiten kommt ein prospektives HLA-Matching bei der thorakalen Organtransplantation derzeit nicht in Betracht.

1.6 Kombinierte Herz-Lungen-Transplantation

Patienten mit geplanter Herz-Lungen-Transplantation ist innerhalb jeder Dringlichkeitsstufe Vorrang vor Patienten mit isolierter Herz- und isolierter Lungentransplantation zu geben.

2. Verfahrensweise bei der Organvermittlung

Die Regeln der Organallokation der vermittlungspflichtigen thorakalen Spenderorgane sind regelmäßig auf ihre Validität zu überprüfen. Auf der Grundlage der Qualitätssicherung ist jährlich zu klären, ob die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft eine Änderung der Kriterien oder ihrer Gewichtung erforderlich macht. Hierzu zählen z.B. die Anwendbarkeit der HLA-Kompatibilität als Vergabekriterium, die derzeit aus Zeitgründen nicht genutzt werden kann, oder die Abhängigkeit der tatsächlichen kalten Ischämie von der räumlichen Entfernung. Darüber hinaus wird die Wartezeit und deren Einfluss auf die Prognose aller Patienten auf der bundeseinheitlichen Warteliste prospektiv analysiert.

Die Vermittlungsentscheidung ist verbindlich. Sie wird für jedes Organ transparent und nachvollziehbar begründet und dokumentiert.

Das Verfahren der Organvermittlung erfolgt unter Verwendung eines abgestimmten Allokations-Algorithmus nach den unter 1 beschriebenen Kriterien.

Die Entscheidung über die Annahme eines Spenderorgans trifft das Transplantationszentrum unter Berücksichtigung der vom Patienten bei seiner Aufklärung vor Aufnahme getroffenen individuellen Entscheidung und unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Spenderorgans sowie der individuellen Situation des Transplantatempfängers (Patientenprofils). Begründete Vorgaben für Spenderorgane können im Rahmen des angebotenen Behandlungsspektrums mit der Vermittlungsstelle vereinbart werden (Zentrumsprofils). Die Ablehnung eines angebotenen Spenderorgans ist unter Angabe der Gründe zu dokumentieren.

Die Gewichtung der Allokationsfaktoren wird fortlaufend gemäß dem Stand der medizinischen Wissenschaft überprüft und angepasst.

Bei drohendem Verlust der Transplantabilität eines Organs nach Beurteilung durch Eurotransplant darf die Vermittlungsstelle von den geltenden Vermittlungsregeln der Bundesärztekammer - unter möglichster Aufrechterhaltung der Patientenorientierung - notfalls abweichen.

3. Expertengruppe Thorakale Transplantation (Auditgruppe)

3.1 Aufgabenstellung der Auditgruppe

Die Aufnahme eines Patienten auf die Warteliste mit hoher Dringlichkeit "HU" erfolgt nach den in den Richtlinien "Warteliste" festgelegten Kriterien durch eine Auditgruppe. Ihre Entscheidung muss unverzüglich erfolgen.

3.2 Zusammensetzung und Organisation der Auditgruppe

Aus jedem zur thorakalen Transplantation zugelassenen Transplantationszentrum in Deutschland werden zwei in der thorakalen Organtransplantation erfahrene Ärzte für die Auditgruppe nominiert. Aus dieser Gruppe wird im Rotationsverfahren ein ständiger Bereitschaftsdienst gebildet. Die jeweils amtierende Auditgruppe setzt sich aus drei Mitgliedern zusammen, die in verschiedenen Transplantationszentren tätig sind, nicht jedoch in dem Zentrum, das von der Allokationsentscheidung betroffen ist; ihr müssen ein Internist und ein Chirurg angehören. Die Auditgruppe wird organisatorisch an die Vermittlungsstelle angebunden.

3.3 Entscheidungen der amtierenden Auditgruppe

Die Entscheidungen der Auditgruppe sind mehrheitlich zu treffen und zu dokumentieren.

4. Sanktionen

Bei einem Verstoß gegen die Allokationsrichtlinien sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Organübertragung nach § 9 TPG nicht gegeben, und es liegt nach § 20 Abs. 1, Nr. 2 TPG ein Bußgeldtatbestand vor. Wird der Vermittlungsstelle ein Verstoß bekannt oder hat sie hinreichende Verdachtsmomente für einen solchen, unterrichtet sie die zuständige Bußgeldbehörde. Darüber hinaus meldet sie den Fall an die Prüfungskommission der Vertragspartner nach § 12 Abs. 4 Nr. 4 TPG.

Revision der Richtlinien zur Organtransplantation gemäß § 16 TP